Liebe Gemeindemitglieder,
ein Symbol für Ostern ist das Lamm, zum Beispiel als Gebäck auf dem Frühstückstisch. Auf dieser Abbildung sehen wir ein Mosaik aus dem 6. Jahrhundert in der Kirche San Vitale in Ravenna. Es ist umgeben von einer „Corona“. Dieses lateinische Wort wurde im Deutschen zu „Krone“ oder „Kranz“. Seinem Aussehen nach wurde das bedrohliche Virus, das uns momentan so zusetzt, entsprechend benannt.

Wir erleben traurige Tage im Ausnahmezustand. Das Leid und die Belastung durch Unsicherheit und Angst prägen dieses Osterfest. Und das, was wir als Christen feiern, blendet das Dunkle nicht aus. Ostern heißt aber, dass wir dabei nicht stehenbleiben.

Die ersten Christen waren überzeugt, dass Jesus in seiner Auferstehung all das Dunkle, alles Leid und auch den Tod besiegt hat. Der Kranz ist ein Siegeskranz. Er hat die Form des Kreises, der in sich keinen Anfang und kein Ende hat. Deshalb geben wir Kränze als Zeichen des Lebens und der Unendlichkeit mit ans Grab.

Das Lamm ist, wenn wir so wollen, das Wappentier Jesu. Es steht für Frieden. Aber auch für Zartheit, für Sensibilität.

Im Evangelium hören wir Johannes den Täufer, der Jesus aller Welt vorstellt und dabei ausruft: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“

Ein gläubiger Jude wird beim Stichwort „Lamm“ an die Stelle im Prophetenbuch Jesaja (53,4-12) gedacht haben, in dem es vom sog. Gottesknecht heißt, dass er stumm wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde, dass er die Sünde der Menschheit trägt und dass wir durch seine Wunden geheilt sind.

Gläubige Juden werden sich beim Stichwort „Lamm“ erinnern an das Blut der Lämmer, das beim Auszug aus der Sklaverei Ägyptens zum Zeichen der Befreiung, der Erlösung geworden ist.

In Fortführung dieser Symbolik wird Christus im ersten Petrusbrief „das Lamm ohne Fehl und Makel“ genannt: Es „wurde geschmäht, schmähte aber nicht; (es) litt, drohte aber nicht.“

Damit steht er auf der Seite all derer, die selbst Leidende sind, die wie auch immer Opfer geworden sind. Er ist Opferlamm und Sieger zugleich.

Manchmal haben wir unsere Anfragen, wenn wir unschuldige Menschen leiden sehen: Wie kann Gott das zulassen? Was kann der Glaube darauf antworten?

In Jesus Christus trägt Gott das Leid mit – er empfindet im besten Sinn des Wortes: Mit – leid. Indem er leidet, ganz in das Opfersein hineingeht, hat er das von innen her verwandelt. Das vollzieht sich – so interpretieren es die Apostel und Jünger Jesu und damit die ersten Christen – am Kreuz.  Aus einem Zeichen des Scheiterns und sinnlosen Leidens hat er so das Instrument der Erlösung gemacht.

Und hat vorwegnehmend beim Abendmahl seine Hingabe zum Auftrag durch die Zeiten mitgegeben – „tut dies zu meinem Gedächtnis“. So werden wir in jeder Heiligen Messe vor der Kommunion im Beten oder Singen des Agnus Dei mit den Worten des Täufers hingewiesen auf dieses „Lamm Gottes, das hinweg nimmt, die Sünde der Welt“.

Das abgebildete Mosaik in Ravenna befindet sich über dem Altar – in einem Zyklus von Abbildungen zum Mysterium des Altarsakramentes. Das Lamm ist eingebunden in den Kosmos mit Engelwesen, Sternen, Pflanzen und Tieren – es hat alles Leid überwunden und steht mitten – eben in der Corona –  im Siegeskranz des ewigen Lebens.

Das ist das Paradoxe an Gott: weil er unendlich groß ist, kann er sich ganz klein machen. Er ist so stark, dass er ganz schwach sein kann.

Jesus hat durch seinen Tod am Kreuz nicht nur alles unschuldige Leid auf sich genommen; er hat ihm auch eine geheimnisvolle Fruchtbarkeit verliehen.

Wie würde die Geschichte der Menschen in der Vergangenheit und wie würde unsere Welt heute aussehen, wenn statt der Eigenschaften von Raubtieren wie Löwen und Adlern, die des Lammes als Vorbild verwirklicht worden wären.

Es kann keine Zähne zeigen; das Lamm hat keine Krallen, die packen und zerreißen, keine Pranken, die zuschlagen und zerschmettern. Alles das hat es nicht – aber dafür besitzt es eine Fähigkeit, die allen menschlichen Waffen weit überlegen ist: es durchbricht den Teufelskreis des Bösen – die Logik der Macht des Stärkeren – von Rache und Gewalt.

Dann wird sie spürbar: die Macht und Größe Gottes: oft im ganz Kleinen, im Unscheinbaren – dort wo es kaum jemand sieht. Gerade auch im Aushalten und Durchhalten schwieriger Situationen. Da kann die Kraft des Lammes sich heilsam auswirken. Solidarisch mit allen Leidenden, aber immer schon auch ausgestattet mit der Lebenskraft und Freude des Auferstandenen. Das lässt auch in diesen schweren Zeiten die Hoffnung in uns lebendig bleiben.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen für die bevorstehenden Feiertage und darüber hinaus den Segen des Auferstandenen

Pfarrer Andreas Macho