Im Jahre 2018 sind 17 Mitglieder unserer Kirchengemeinde aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Diese Zahl bedeutet eine erhebliche Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Dass mehr ausgetreten sind, scheint keine Besonderheit  unserer Kirchengemeinde zu sein. In der Zeitung las ich, dass sich in Aalen sowohl in der Katholischen wie in der Evangelischen Kirche in ähnlicher Weise die Zahl der Ausgetretenen erhöht hat.

Die hohen Austrittszahlen seit vielen Jahren belasten mich. Ich fühle mich gedrängt dazu Stellung zu nehmen.

 

Als ich im Juli 1971 zum Priester geweiht worden bin, schickte mir der damalige Professor Joseph Ratzinger ein Buch mit persönlicher Widmung, das die beiden Fragen behandelte:

 

Warum ich noch ein Christ bin“ und „Warum ich noch in der Kirche bin

 

Auf die erste Frage antwortete Hans Urs von Balthasar, auf die zweite Frage ging Joseph Ratzinger ein, mein ehemaliger Lehrer und Professor in Tübingen.

 

Was mein ehemaliger Lehrer schrieb, ist von einer auffallenden Frische. Aus seinem Aufsatz möchte ich folgendes zitieren:

„Die Kirche ist es, die uns, trotz all der Menschlichkeit der Menschen in ihr, Jesus Christus gibt, und nur durch sie können wir ihn als eine ………….Wirklichkeit empfangen. …….. Die Kirche ist es, durch die er über die Distanz der Geschichte hinweg lebendig bleibt, heute zu uns spricht, heute bei uns ist als unser Meister und Herr……. Wer die Gegenwart Jesu Christi in der Menschheit will, kann sie nicht gegen die Kirche, sondern nur in ihr finden.

 

Damit ist auch schon das Nächste gesagt. Ich bin in der Kirche aus denselben Gründen, aus denen heraus ich überhaupt Christ bin…… Was wäre denn die Welt ohne Christus? Ohne einen Gott, der redet und den Menschen kennt, und ihn daher der Mensch kennen kann. …… Ich bleibe in der Kirche, weil ich den nur in ihr und nicht letztlich gegen sie vollziehbaren Glauben als eine Notwendigkeit für den Menschen, ja, für die Welt ansehe, wovon sie lebt…… Der Mensch sieht immer nur so viel, soviel er liebt……. Ohne ein gewisses Maß an Liebe findet man nichts.   …… Das Wagnis der Liebe ist die Vorbedingung des Glaubens…… Man entdeckt, dass es neben der Kirchengeschichte der Skandale doch auch die andere Kirchengeschichte gibt, die der freimachenden Kraft des Glaubens, die sich in so großen Gestalten wie Augustinus, Franz von Assisi, dem Dominikaner Las Casas mit seinem leidenschaftlichen Kampf für die Indios, Vinzenz von Paul, Johannes XXIII.  alle Jahrhunderte hindurch fruchtbar bewährt hat…. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gibt, einen anderen Menschen positiv zu verändern, dann doch nur, indem man ihn liebt  und so ihn langsam wandeln hilft, von dem, was er ist, zu dem hin, was er sein kann.“

 

 

 

Hermann Knoblauch,

Pfarrer